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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 19.03.2022


Klondike. Regie: Maryna Er Gorbach. Benefizscreening am 22. März 2022 im Berliner Kino Passage, die Erlöse gehen an ukrainische Hilfsorganisationen
Helga Egetenmeier

Die ukrainische Regisseurin Maryna Er Gorbach schildert in ihrem mehrfach ausgezeichneten Spielfilm ein paar Tage aus dem Leben der hochschwangeren Irka. Als im Juli 2014 im ostukrainischen Gebiet Donezk...




...ein malaysisches Passagierflugzeug abgeschossen wird, wohnt diese in der Nähe in einem zerbombten Haus. Mit wenig Worten und einer kargen Landschaft gelingt es dem Film, die Schrecken der Kriegs- und Vorkriegszeit anzuklagen.

Zwischen Freiheit, Schwangerschaft und Ãœberleben

Eine weite, trockene Landschaft und ein ständig wehender Wind sind der Hintergrund, vor dem sich das Leben von Irka und Tolik abspielt. Dort, auf einem Hügel, etwas abseits eines kleinen Dorfes, lebt die Hochschwangere mit ihrem Mann. Nach jedem nächtlichen Bombenangriff, der Teile ihres Hauses trifft, räumt sie auf und staubt ab. Sie kümmert sich um das Essen, melkt ihre einzige Kuh, füttert die Hühner und verschwindet gelegentlich in der Weite der Landschaft, um sauberes Wasser zu holen.

Ohne viele Worte, es reichen Blicke und Gesten, manchmal Schreie und ein militärischer Befehlston, erzeugt Regisseurin Maryna Er Gobach Gefühle, die kein Dialog erfassen kann. Und Oxana Cherkashyna zeigt als Irka die sprachlose Bestimmtheit einer schwangeren Frau, die den Bitten des zukünftigen Vaters nicht nachkommt, ihr Zuhause zu verlassen, um sich in einer Klinik in Sicherheit zu bringen. Auch ihren Bruder, der zu Besuch kommt, um sie mit nach Kiew zu nehmen, weist sie ab. Selbstbewusst und selbstbestimmt versucht sie, dem Krieg zu trotzen, und geht ihrem kargen Leben im Osten der Ukraine, nahe der russischen Grenze, nach.

Patriarchat und Krieg - das Gegenteil von Geburt und Leben

Doch in der Ferne tauchen immer wieder bedrohlich wirkende Fahrzeuge auf. Gelegentlich kommen diese zu dem kleinen Gehöft, dann steigen russisch sprechende, uniformierte Männer, mit einem Maschinengewehr im Anschlag, aus. Sie bedrohen Tolik und nehmen, was sie gerade brauchen. So auch das Auto, weshalb für die Hochschwangere die Fahrt in die Klinik unmöglich wird. Anhand der Gespräche zwischen den Bewaffneten zeichnet die Regisseurin ein Bild von Männern, die durch ihre patriarchale Arroganz, die Frau zur Sklavin degradieren.

Ein differenzierteres Bild von Männlichkeit vermittelt Maryna Er Gorbach in der Gestalt des Geliebten und des Bruders, da sich beide um Irka bemühen. Doch wenn sie der Hochschwangeren helfen wollen - und diese fordert ihre Hilfe einmal mit dem Schrei "Bring me a sofa!" knapp und lautstark ein - müssen sie zusammen arbeiten. So kommen sich Tolik, der den russischen Separatisten nahe steht, und Yaryk, der für eine unabhängige Ukraine eintritt, trotz ihrer politischen Gegensätze langsam näher. Von dieser kleinen, sich behutsam entwickelnden Gemeinschaft, bekommt am Ende nur Irka, die als Frau aus den Männerbünden ausgeschlossen bleibt, gemeinsam mit ihrer Neugeborenen die Chance für eine Zukunft.

Region Donezk, Juli 2014, Abschuss eines Passagierflugzeugs

Maryna Er Gorbach siedelt ihren Spielfilm über die politischen Zustände in der Ukraine in der Region Donezk an. Als Zeitpunkt wählte sie die Tage vor und nach dem Abschuss eines malaysischen Passagierflugzeugs durch eine russische Flugabwehrrakete am 17. Juli 2014 über der Ostukraine, bei dem alle 298 Insass*innen starben. Kurz davor, ab dem Winter 2013/2014, hatte sich der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland gesteigert, es kam im Bereich der Grenze zu gewaltsamen Gebietsbesetzungen durch Russland, wie auch zur Annektierung der Halbinsel Krim. Wie dies mit der Geschichte der Ukrainischen Republik, die im August 1991 ihre Unabhängigkeit und ihren Austritt aus der Sowjetunion erklärte, in Verbindung steht, kann auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung nachgelesen werden.

Benefizvorführung in Berlin am 22. März 2022

Bei dieser einmaligen Spendenaktion im Berliner Kino Passage gehen die Erlöse zu gleichen Teilen an "Voices of children" in der Ukraine, und den Notfallfonds für ukrainische Filmemacher*innen, bei der weltweiten Initiative "International Coalition for Filmmakers at Risk" (ICFR). Eine Einführung in den Film gibt Michael Stütz, der Leiter der Sektion Panorama bei der Berlinale.

AVIVA-Tipp:Mit wenigen Worten und tief gehenden Bildern zeigt Maryna Er Gorbach in "Klondike", dass Krieg nie unpersönlich ist und es beständiger Anstrengungen bedarf, die Mitmenschlichkeit nicht zu verlernen. "Nie wieder Krieg!", dieser Aufruf, den Käthe Kollwitz 1924 auf einem Plakat festgehalten hat, ist heute leider noch so aktuell, wie vor einhundert Jahren. Dass er nicht vergessen werden darf, auch daran erinnert der Film.

Auszeichnungen:
2022: Sundance Film Festival - Auszeichnung für die Beste Regie bei der World Cinema Dramatic Competition
2022: Berlinale - Preis der Ökumenischen Jury, Sektion Panorama
2022: Berlinale - Panorama Publikums-Preis, 2. Platz/Spielfilm

Zur Regisseurin: Maryna Er Gorbach, geboren 1982 in Kiew, studierte an der I.-K.-Karpenko-Kary-Universität für Theater, Kino und Fernsehen in Kiew. Nach ihrem Abschluss besuchte sie 2006 einen Meisterkurs für Filmregie an der Andrzej-Wajda-Meisterschule in Polen. 2004 erschien ihr erster Kurzfilm "The Jar", 2006 ihr Abschlussfilm "The Debt", und 2008 mit "Black Dogs Barking" ihr Regiedebüt im Bereich Spielfilm. Gemeinsam mit Mehmet Bahadir Er realisierte sie "Luby Me" (2013) und "Omar and Us" (2019). "Klondike" ist ihr erster Film, bei dem sie für Regie und Drehbuch allein verantwortlich zeichnet. Seit 2019 ist sie Mitglied der Europäischen Filmakademie.

Zur Hauptdarstellerin: Oxana Cherkashyna, geboren 1988, ist eine ukrainische Schauspielerin.

Klondike
Ukraine, Türkei 2022
Regie und Drehbuch: Maryna Er Gorbach
Darsteller*innen: Oxana Cherkashyna, Sergiy Shadrin, Oleg Scherbina, u.a.
Produzent*innen: Maryna Er Gorbach, Mehmet Bahadir Er, Sviatoslav Bulakovskyi
Sprache: Ukrainisch, Russisch, Tschetschenisch, Niederländisch
Untertitel: Englisch
Verleih: noch offen
Lauflänge: 100 Minuten
Kinostart: noch offen
Mehr zum Film unter: www.klondikemovie.com

Weitere Informationen unter:

www.icfr.international
Die ICFR, "International Coalition for Filmmakers at Risk", setzt sich für verfolgte und gefährdete Filmemacher*innen auf der ganzen Welt ein, damit diese ihre Arbeit auch unter widrigen Bedingungen fortsetzen können. Filmschaffende aller Gewerke können kleine Zuschüsse beantragen, um durch den Krieg verursachte Umzugskosten, Rechts- und Verwaltungsgebühren und erste notwendige Ausgaben in der aktuellen Situation zu decken. Die ICFR hat einen Notfallfonds für ukrainische Filmemacher*innen aufgelegt.

www.produzentenverband.de
Der Produzent*innenverband informiert über ukrainische Filmschaffende und ihre Bildinformationen, mit Links zu den Bildern, damit sie sichtbar gemacht und geteilt werden können.

www.kulturrat.de
Der deutsche Kulturrat informiert über aktuelle Hilfsmaßnahmen aus dem Kulturbereich.

www.isolarii.com
Die Schriftstellerin und Fotografin Yevgenia Belorusets, Preisträgerin des Internationalen Literaturpreises, schreibt täglich aus Kyiv und erzählt vom Leben im Krieg. Das Tagebuch erscheint bei isolarii und wird in verschiedene Sprachen übersetzt.

www.bffs.de
Der Bundesverband Schauspiel e.V. (BFFS) startet zusammen mit ver.di, ARD, BDZV, Deutschlandradio, Produzentenallianz, RSF, TPR, VDZ und ZDF eine Initiative, um Kriegsgeflüchteten für ihren Aufenthalt in Deutschland die Suche nach Beschäftigung zu erleichtern. #StandWithUkraine

www.voices.org.ua/en
Seit 2015 hilft die "Voices of Children Foundation" Kindern, die vom Krieg betroffen sind. Durch Spendengelder finanziert, bieten sie psychologische und psychosoziale Unterstützung an.

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Beitrag vom 19.03.2022

Helga Egetenmeier